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Versiegelte Mails und Katzen zwischen Leben und Tod: Wunderbare Quantenwelt

Zwei Zustände, die einander ausschließen, prägen den Alltag des Menschen seit vielen Jahrhunderten. Entweder es ist Tag oder Nacht. Entweder es ist kalt oder warm. Und eine Katze ist entweder tot oder lebendig. Die Quantenphysik sieht das anders.
Ein Quantensystem befindet sich in mehreren Zuständen gleichzeitig, und erst durch Beobachtung lässt sich ein Zustand als der zutreffende etablieren. Während herkömmliche Daten in bits und bytes und damit in einem binären System gespeichert werden – alles drückt sich durch Kombinationen und Abfolgen von entweder 0 oder 1 aus – kann ein Qubit, also das Quanten-Pendant, die binären Zustände 0 und 1 gleichzeitig darstellen, ist also für eine bestimmte Zeit beides. So wie Schrödingers Katze gleichzeitig tot und lebendig ist, aber dazu später…

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Blick ins OpenSu­perQLabor ©For­schungs­zen­trum Jülich / Foto: Sascha Kreklau

Erst Beobachtung erzwingt in einem Quantensystem eine Festlegung:

Es ändert sich, indem Zusammenhang und Gleichzeitigkeit der Zustände aufhören. Fachleute sprechen dann von „Dekohärenz“. Diese Konsequenz aus der Wechselwirkung mit der Umgebung prädestiniert es zum Beispiel für die Kryptografie, die Wissenschaft zur Verschlüsselung von Informationen. Bedient sich eine Verschlüsselung eines Quantensystems, weiß der Empfänger exakt, ob ein Dritter auf dem virtuellen Weg zu ihm auf die Informationen zugegriffen hat oder nicht. Bildlich gesprochen: In diesem Anwendungsbereich wirkt das Quantensystem wie ein Siegel, das sich nur ein einziges Mal aufbrechen lässt, ohne dass jemand jemals wieder den unversehrten Zustand wiederherstellen könnte.

Freilich begrenzt der Anwendungsbereich von Quantenphysik sich nicht allein auf die Kryptografie, wenngleich mit Blick auf Internet- und Datensicherheit die Begehrlichkeiten in diesem Feld immens sind. Ein anderes Anwendungsbeispiel ist die Sensorik: Da sorgt ein Quantensystem für eine wesentlich höhere Empfindlichkeit, weil bei unvorstellbar kleinen Veränderungen deutlich messbare Effekte verursachen. Lässt sich beispielsweise perspektivisch nutzen für das Auslesen von neuronalen Aktivitäten im Gehirn, was für diagnostische und Behandlungsperspektiven von Patienten, die sich nicht mehr bewegen oder nicht mehr mitteilen können, von bahnbrechender Bedeutung sein kann. Weil Beobachtung der reaktiven Aktivitäten im Gehirn die fehlende Kommunikation ersetzt.

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Blick ins OpenSu­perQLabor ©For­schungs­zen­trum Jülich / Foto: Sascha Kreklau

Weiteres Beispiel: Rechenleistung. Quantencomputer haben das Potenzial, komplexe Berechnungen, die herkömmliche Computer nacheinander leisten und miteinander vergleichen müssen, gleichzeitig durchzuführen und dabei die optimale Lösung zu identifizieren. Das ist übrigens bereits in der Anwendung angekommen: Logistikdienstleister erproben quantenbasierte Routenplaner, die für die individuell anstehenden Lieferungen die effizienteste Wegführung berechnen können – deutlich schneller als ihre binären Vorgänger.

„Aber“, das betont Prof. Dr. Tommaso Calarco, Direktor am Peter-Grünberg-Institut (Forschungszentrum Jülich) und einer der weltweit führenden Quantenphysiker, „es wäre unseriös, so zu tun, als ließe sich mithilfe von Quantensystemen jedes beliebige Problem lösen. Das ist nicht so, zumindest nach heutigem Wissensstand.“ Das Problem müsse sich in einem Quantensystem ausdrücken lassen, ein Algorithmus sei zu definieren. Das funktioniert heute nicht direkt, wenn das Ziel ist, den Klimawandel zu stoppen. Es funktioniert sehr wohl, wenn es darum geht, bei Busalternativen, die auf Abruf und nicht nach festem Fahrplan fahren und so ländliche Gebiete besser anschließen können, Routen nach Bedarf festzulegen und damit Mobilitätslücken zu schließen. Besagte Routenplanung funktioniert so ähnlich wie die Analyse eines Labyrinths: Etwas befindet sich an Punkt A und soll zu Punkt B, wobei es unterwegs x Variablen (Lieferstellen, Haltestellen oder ähnliches) gibt. Ziel ist eine Wege-Optimierung, um möglichst wenig Zeit und Treibstoff zu verbrauchen. Es sind also mehrere Randbedingungen, die vorher klar definiert sein müssen, um von den Quanteneffekten zu profitieren.

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Blick ins OpenSu­perQLabor ©For­schungs­zen­trum Jülich / Foto: Sascha Kreklau

Das macht das Gedankenexperiment mit der gleichzeitig toten und lebendigen Katze deutlich, das der Physiker Erwin Schrödinger 1935 vorstellte – und damit einen Ansatz zur modernen Betrachtung von Quanteneffekten. Um ein Quantensystem mit seiner Gleichzeitigkeit gegensätzlicher Zustände nachvollziehbar zu machen, schlug Schrödinger vor, sich eine Katze in einem Kasten vorzustellen, der nicht einsehbar ist und in dem sich eine Apparatur befindet, die ein tödliches Gift freisetzt, sobald ein radioaktives Präparat zerfällt. Innerhalb einer bestimmten Zeitspanne liegt die Wahrscheinlichkeit, dass dies eintritt, bei 50 Prozent. Deswegen, so Schrödingers Erklärung, sei die Katze in diesem Kasten am Ende dieser Zeitspanne genauso wahrscheinlich tot wie lebendig, sodass sich keine Aussage über deren Zustand treffen lässt, außer der Kasten würde geöffnet. Dann, und das ist der Moment der Beobachtung oder des Messens, ließe sich die Katze als tot oder lebendig definieren, vorher wäre sie beides gleichzeitig. Dies ist ein theoretisches Konstrukt, verdeutlicht aber, wie ein Quantensystem funktioniert. Und dass ein Quant letztlich erst durch einen Zustandswechsel in einem abgeschlossenen System erzeugt wird.

Während die Forschung an einigen Stellen noch Lösungen sucht – Quantencomputer erreichen derzeit erst Rechenleistungen von 50 Qubits, was die Möglichkeiten noch stark einschränkt -, hat sie sie an anderen längst gefunden. Der 1945 vorgestellte Transistor, die Solarzelle aus Halbleiter (1954), der Laser (1960), der CCD-Sensor als Basis für Digitalfotografie (1969), der auf dem Tunneleffekt basierende Flash-Speicher (1994): All das sind Produkte, die längst in der Anwendung sind und ohne die Nutzung von Quanteneffekten nicht existieren würden. Quantenphysik ist also längst im Alltag angekommen und wird es künftig noch viel stärker.

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Blick ins OpenSu­perQLabor ©For­schungs­zen­trum Jülich / Foto: Sascha Kreklau

Deswegen strebt die Bundesregierung gemeinsam mit einem Board von Experten auch nach Souveränität in allen Forschungsbereichen, die sich auf Quantensysteme fokussieren. „Ja, google ist uns etwa zwei Jahre voraus, wenn wir uns die aktuellen Möglichkeiten unseres Quantencomputers in Jülich ansehen. Aber es gab schon Exporteinschränkungen vonseiten der amerikanischen Regierung, und wenn wir nicht selbst weiterentwickeln, sondern uns darauf verlassen würden, dass wir ankaufen, was wir brauchen, es dann aber nicht bekommen…“ Der Satz von Prof. Dr. Tommaso Calarco darf offenbleiben; jeder versteht, dass dies Forschung und Anwendung um Jahre zurückwerfen und perspektivisch Deutschland von anderen Ländern abhängig machen würde. Das gilt es zu verhindern, und zwar mit finanzkräftiger Unterstützung der Regierung, genauer des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF): Zwei Milliarden Euro hat es ausgelobt, um Quanten-Hubs in ihren Bundesländern zu fördern. Unabhängig von Strukturwandelmitteln – doch es ist evident, dass Quantenphänomene auch dem Strukturwandel an vielen Stellen nutzen können.

Fundament für den Quanten-Hub in Nordrhein-Westfalen soll das von Calarco und Fraunhofer-Kollegen vorangetriebene Projekt CQSE (SofortprogrammPLUS) bilden. Anders als in der Öffentlichkeit häufig wahrgenommen, handelt es sich bei der Sonderförderung für Quanten-Hubs indes nicht um eine Art Wettbewerb, der aus Bundesländern Konkurrenten um die Mittel macht. Im Gegenteil: Die Quanten-Hubs sollen sich austauschen und vernetzen, um gemeinsam bundesweit die Quantenforschung auf verschiedenen Feldern voranzubringen. Calarco sagt: „Wir hier in Jülich arbeiten mithilfe unserer Kollegen in Aachen, Bonn und Köln an Festkörper-Quantencomputing und Quantenmaterialien, in Bayern sind atomare Systeme im Fokus, in Niedersachsen überdies Ionen, in Baden-Württemberg Elektronen in Diamanten. Letztlich bringt es aber keinen weiter, wenn nur einer dieser Bereiche Fortschritte macht, weil alles miteinander zusammenhängt und ein Fortschritt vom anderen abhängt.“

Deswegen ist Anliegen des Projekts CQSE, im Kleinen zusammenzuführen, was im Großen perspektivisch unbedingt zusammengehört, will Deutschland in Sachen Quanten unabhängig und konkurrenzfähig bleiben. Da gibt es nämlich nur einen erwünschten Zustand: Erfolg./pak

"Letztlich bringt es aber keinen weiter, wenn nur einer dieser Bereiche Fortschritte macht, weil alles miteinander zusammenhängt und ein Fortschritt vom anderen abhängt.“
Prof. Dr. Tommaso Calarco
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